Die Wertschätzung des Schoßraumes

Vortrag beim Frauenkongress 2014

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Nach Schätzung von Amnesty International, sind eine Milliarde Frauen weltweit, schon Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt geworden. Das sind ein Drittel aller Frauen auf dieser Welt! Aber auch in unserer EU sieht es nicht anders aus: Jede dritte Frau hat, nach Erkenntnissen der EU-Grundrechte-Agentur, seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Schauen wir nach Deutschland, sieht es immer noch nicht besser aus: Laut einer Studie des Bundesfamilienministerium aus 2004 haben von 10.000 befragten Frauen 40 Prozent körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides erlitten. 58 Prozent der Befragten gaben an, unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung erlebt zu haben. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2013 wurden insgesamt ca. 15.000 Kinder sexuell missbraucht. Wobei die Dunkelziffer zwischen 1:15 (Bundeskriminalamt) und 1:20 (nach Kavemann und Lohstöter) festgelegt wird. Damit wären es dann 220.000 bis zu 300.000 Kinder, allein letztes Jahr, die sexuelle Misshandlungen erlebt haben! Wir haben ungefähr 10 Millionen Kinder in Deutschland, das hieße jedes 3. Kind ist von sexueller Misshandlung betroffen! Mädchen 3 - 4 mal häufiger, als Jungen.

 

Schoßraumverletzung ist Seelenverletzung!

 

Denn die psychische Schädigung von Schoßraumverletzungen halten oft ein Leben lange an. Die Vergewaltigungsopfer empfinden während der Tat Todesangst, bei und unmittelbar nach der Tat sind sie in einem Schockzustand. Neben den körperlichen Verletzungsfolgen (von z.B. Prellungen (73%), vaginalen Verletzungen (32,7%), anderen inneren Verletzungen (5,4%), Knochenbrüchen (2,3%) bis hin zu Fehlgeburten (3,5%). (dt. Zahlen von 04)) treten als Spätfolgen bei den Betroffenen oft posttraumatische Belastungsstörung auf mit möglichen Symptomen wie: Albträume, Störung der Sexualität, Gleichgültigkeit, Depression, Schuldgefühle, Angstzustände, Panikattacken, anhaltende Unterleibsschmerzen, selbstverletzendes Verhalten, Suizidversuche oder vollendeter Suizid.

Zentrales schädigendes Element bei Frauen, die sexualisierte Misshandlungen in der Kindheit erlebt haben, vor allem innerhalb der Familie, ist die langfristige Verwirrung, der das Mädchen auf kognitiver, emotionaler und sexueller Ebene ausgesetzt ist.

Als langfristige Folgen treten im Erwachsenenalter häufig auf: Störungen in der Wahrnehmung eigener Gefühle, Wertlosigkeit, Misstrauen, Scham, Schuld, Wut, Ablehnung des eigenen Körpers, selbst destruktives Verhalten, Selbstmord und -versuch, Partnerschaftsprobleme, Störungen in der Sexualität, Angstzustände, Depression, Dissoziation, Schlaf- und Essstörungen, Drogenmissbrauch oder Prostitution.

Wenn ich diese Zahlen und diese Auswirkungen einmal ganz platt herunter breche, wage ich an dieser Stelle einmal zu behaupten, dass wir heute davon ausgehen können, dass jede dritte Frau in unserer Welt mehr oder weniger in ihrem weiblichen Selbstverständnis und weiblicher Seele zutiefst verletzt ist!

Wo liegt das weiblichen Prinzip geborgen, wenn nicht im weiblichen Schoß? Wie soll sich unter diesen zutiefst erschwerten Umständen „weibliches Sein“ und „weibliches Leben“ frei entfalten können? Wie soll „Weiblichkeit“ ungehindert und ungestört in die Welt hinein, durch jedes einzelne Frauenleben Form, Gehalt, Wert, Sinn und Bedeutung erhalten?

 

Deshalb sage ich: Schoßraumverletzung ist Verletzung an der Weiblichkeit!

Jede dritte Frau! Schau dich um!

 

Wir sind knapp 100 Frauen hier im Raum. Schau dich um: Die Statistik sagt, dass mindestens 33 Frauen hier im Raum erschwert ist, ihr weibliches Potential der Welt voll und ganz zu geben und zu schenken! Und das wieder frei zu buddeln, damit beschäftigen wir uns hier! Das Privileg haben wir auf diesem Frauenkongress! Wir müssen keine Steinigung, Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Gefängnis, Strafe, Stigmatisierung oder anders befürchten, nur weil wir uns hier treffen! Wir haben diese Möglichkeit!

Aber: Wir haben auch diese Verantwortung uns selbst und der Welt gegenüber! Verantwortung uns selbst zu heilen, das Weibliche in uns zu heilen! Gemeinsam zu forschen und neue Wege zu finden, wie verletzte Weiblichkeit, und dazu gehört die Schoßraum-Verletzung, erlöst werden kann. Individuell in jeder einzelnen von uns und kollektiv gemeinsam!

Dafür müssen wir uns unsere eigenen Strukturen und Muster immer und immer wieder noch einmal anschauen, in denen wir, vielleicht immer noch, verfangen sind:

  • Wo lebe ich (immer noch) nicht meine ureigenste Eigenart, Schönheit und Kraft?

  • Wo erlebe ich mich (immer noch) nicht wertvoll, integer, souverän, vollständig und voll und ganz handlungsfähig?

  • Wo bin ich (immer noch) nicht voll und ganz präsent in meinem Körper, in mir und im Kontakt mit den andern?

  • Welche Vorteile habe ich (immer noch) davon, im Opferverhalten zu sein, zu denken, zu leben?

Letztendlich ist es die allumfassende Frage:

  • Wo gebe ich (immer noch) meine Kraft ab? Und hier besonders:

  • Wo gebe ich meine weibliche Kraft ab?

So haben die zu hinterfragenden Strukturen, in denen wir unsere Weiblichkeit nicht ganz nehmen, immer mit Macht zu tun. Mit eigener Macht, mit Eigen-Ermächtigung und eigener Wertschätzung dafür! So forschen wir heute gemeinsam in solchen geschützten Räumen wie z.B. dem Frauenkongress. Aber auch in Jahrestrainings, Schwesternkreisen, Selbsthilfegruppen, in Ritualgruppen, Einzelsitzungen, Therapien und all den anderen Orten, wo Frauen sich dem großen Thema Selbstermächtigung in und Wertschätzung der Weiblichkeit widmen! Die gute Nachricht ist: Die weibliche Kraft ist da! In jeder Frau ist sie vorhanden! In unserem Schoß geborgen, wartet sie oft darauf wieder erkannt zu sein!

Neben den verschiedenen Therapieansätzen, die ein Großteil von uns hier schon mehr oder weniger für sich beansprucht haben, entwickelt sich immer mehr eine neue Richtung, die Schoßraum-ProzessArbeit, die nicht nur auf geistiger, emotionaler oder systemischer Ebene sucht und findet. Jetzt kommt das 3. Element dazu. Der Körper wird mit einbezogen, der Ort des Geschehens: In Körperzellen gespeicherte Schoßraumverletzungen können sich nun auch dort lösen und legen frei, was unverletzt: Tiefes Verständnis und Wissen um weibliches Weben und Wirken in dieser Welt offenbart sich von dort aus!

Eine Freundin von mir macht immer wieder so gerne darauf aufmerksam, was der Schoßraum auch noch ist: Nämlich die Schnittstelle zwischen dieser und jenseitiger Welt. Der Schoßraum ist die einzige Brücke hier für uns Seelen in diese, unsere Welt hinein! Der Schoßraum ist damit ein nicht zu vergleichender, einzigartiger Raum hier bei uns auf Erden. Wir können ihn deshalb getrost „heilig“ nennen und in „heilig“ steckt das Wort „heil“.

Ich will auf folgendes hinaus: In meiner langjährigen Praxis mache ich immer wieder auffallend oft folgende Beobachtung: Eine Frau kommt und ist zutiefst sexuell verletzt worden. Sie empfindet meistens ihren Schoßraum als „taub“ oder „nicht vorhanden“. Wir beginnen miteinander zu arbeiten, in einem Setting, der seinesgleichen heute noch vielfach sucht: Ich berühre sie und entlasse sie nicht aus ihrer Eigenverantwortung. Sie ist die gesamte Zeit mit mir im Kontakt und sorgt bestmöglich für sich! So haben wir einen Raum kreiert, in dem die Frau vertrauensvoll nur sich selbst auf körperlicher Schoßraumebene erfahren kann. Im Gewebe gespeicherte Erinnerungen können sich zeigen, sich lösen und befreien und danach geschieht immer wieder und auffallend oft das bis dato Unvorstellbare: Es offenbart sich recht schnell und sehr intensiv ein größtenteils "normaler" Schoßraum! Als ob lediglich Schleier gelüftet werden mussten, sind viele Auswirkungen der Verletzungen verflogen und aufgelöst.

Letztes Jahr durfte ich hier an dieser Stelle ausführlich über die Wechselwirkung zwischen Schoßraum und Lebensqualität berichten und darüber, was die Wissenschaft nämlich mittlerweile bestätigt: Kümmert sich Frau wieder um ihren Schoß, aktiviert sie über ihr Nevenbahnen-Netz zwischen Vagina und Hirn ihre Hirnanhang-drüse. Diese schüttet dann jene Stoffe aus, die ihr ganzes Leben beeinflussen: Hormone, wie Oxytocin, Dopamin und Opioiden. Diese schärfen unsere Wahrnehmung, stärken unser Selbstvertrauen, lassen uns verbunden fühlen und uns kreativ handeln und unsere Lebenslust und Lebendigkeit steigert sich. Viele Frauen sprechen nämlich davon, wieder mehr Kontakt zu ihrem Körper und zu sich selbst zu haben, selbst-bewusster zu sein, sich kräftiger und selbst-ermächtigter zu fühlen. Und auffallend viele sprechen davon, so wie „früher“ nicht weitermachen zu können und zu wollen. Viele finden ab diesem Moment eine neue Lebensart, die sie als authentischer, ehrlicher, mutiger, nährender, dem eigenen Rhythmus angebundener erleben.

„Früher“ war wichtig, das 10. Paar Schuhe zu kaufen und viel zu arbeiten, jetzt ist wichtig genau zu fühlen, was wirklich nährt und schlichte, einfache Dinge werden gefunden: Blätter im Wind, fallende Schneeflocken.... und vor allem: Ehrliche, authentische Kontakte werden wichtiger denn je: Sich zeigen so wie frau tatsächlich ist und zu erleben, wer da wirklich gegenüber sitzt, oder gar liegt, falls die beiden gerade Liebe machen.... Das sind die neuen Interessen! Schlussendlich misst sich die neue Lebensqualität jetzt an dem, wie frau fühlt und nicht, was andere von ihr oder gar sie selbst denkt sein zu wollen!

Wie frau fühlt und was frau fühlt wird unabdingbarer Mess-Pegel und unbestechlicher Korrekturmassstab ihres neuen Lebens. Und zwar ihres Lebens in der „harten Wirklichkeit“ da draußen. Und das ist das, was ich am Interessantesten finde: Wie leben wir „neue Weiblichkeit“ in dieser, da draußen auf uns wartenden Welt?

  • Bin ich bereit auch ein 3. Mal zu sagen, dass ich anders berührt werden mag?

  • Bin ich bereit, nicht mitzumachen, auch wenn meine Familie es anders will?

  • Bin ich bereit, mich in unkonventionellen, neuen Verhaltensweisen zu zeigen, auch wenn es für die anderen neu und verstörend wirken könnte?

Das sind u.a. meine Lieblings-Forschungsprojekte „Wie bringe ich das Neue in die Alte Welt“? Und ich freue mich zutiefst an diesem kulturellen Wertewandel teilhaben zu dürfen. Dank dieser einzigartigen Arbeit:

 

Der Schoßraum-Prozessbegleitung!

Was für ein Geschenk an das Leben!